Spuren

Ein photojournalistischer Artikel über den armenischen Genozid von 1915

Armenien. Ich war schon immer stolz auf meine Herkunft, obwohl ich nie die Sprache erlernt habe geschweige denn viele Armenier kenne, fühle ich mich immer noch dem Land verbunden und teile den gleichen Schmerz, der viele andere Armenier plagt.

Nicht gehört zu werden.

Die Pein der ewigen Verleumdung.

Man stelle sich vor, Hitler wäre mit der Ermordung von 6.000.000 Juden davon gekommen. Für die Armenier ist das eine traurige Wahrheit.

1915.

Ein grausamer Genozid erschüttert Armenien und seine Geschichte in ihren Grundfesten. Türkische Radikale ermorden hundert tausende Armenier und vertreiben sie aus ihrer Heimat. Die Ereignisse werden von den Armeniern selbst mit dem Begriff „Aghet“, Katastrophe, bezeichnet. Die Türkische Kultur verneint weiterhin alles was mit dem Genozid zu tun hatte und weist jegliche Schuld von sich. Sie zeigen sich als unwissend und unschuldig. Eine Stellung, die viel Hass bei den Armeniern hervorgerufen hat. Der Streit um die Anerkennung des Genozids als historische Tatsache belastet bis heute die Beziehung zwischen der Türkei und Armenien sowie zahlreicher westlichen Staaten.

2016.

Ein ganzes Jahrhundert ist vergangen. Die breite Masse der Weltbevölkerung hat noch nie etwas über die Armenier gehört, geschweige denn über den grausamen Genozid. Niemand spricht darüber, oder klärt darüber auf.

Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?
— Adolf Hitler

Und obwohl dieser Mann als wahnsinniges Monster bezeichnet wird, hatte er Recht. Nein, er hat immer noch Recht. Die Stadt Jerevan lässt keinen Einwohner oder Touristen vergessen was damals passiert ist. Etliche Plakate und Banner sind überall in der Stadt als mahnendes Zeichen aufgestellt. Ich kam also nach Armenien mit dem Ziel, Ruinen des Genozids zu finden.

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Als halb Armenier empfand ich es fast schon als Pflicht hierher zu kommen, aber ich hatte mir gesagt, meine emotionale armenische Seite darf nicht die Oberhand bei dieser Suche gewinnen. Sobald ich das Denkmal des armenischen Genozids (genannt “Zizernakaberd”) betrat wurde mir klar, dass ich das nicht komplett verstecken könnte. Fast wie die Stimmen gequälter Seelen erklang Musik aus den Lautsprechern, die überall aufgestellt worden waren.

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Meine Nackenhaare stellten sich auf.

 
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Auf meiner linken Seite streckte sich eine graue Wand in die Länge. Auf der Wand waren die Namen der Städte, die im Genozid verloren wurden. Mit dabei: die Stadt Van, der Ursprung meiner Familie. Es ist beunruhigend den Namen auf der Wand zu sehen. Die Wand noch nass vom Regen, wirkte deprimierend, fast wie ein großer Grabstein.


Unberührt vom Regen ist das Feuer in der Mitte des Monuments. Die ewige Flamme. Das Feuer, das für alle brennt, die im Genozid umgekommen waren und für alle, die um diese Personen trauern.

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Ich bin weder abergläubisch, noch interessiere ich mich für Religionen oder lasse mir meine Zukunft auf Astro-TV vorhersagen, aber dieser Ort fühlte sich ominös an. Als ob die Verstorbenen immer noch umher wanderten. Keine Ruhe finden könnten.

Unterhalb des Denkmals befand sich ein Museum mit originalen Dokumenten aus jener Epoche, das jeder kostenlos betreten darf. Obwohl ich bereits mit jedem Detail über den Verlauf des Genozids vertraut war, wollte ich unbedingt die Schriften der alten Zeit durchlesen. Doch nach den Gedichten der Personen, die durch die Hölle gingen, konnte ich es nicht länger aushalten. Ich verließ das Museum, gefüllt mit Trauer, Hass;

Mit dem Bedürfnis gehört zu werden.

Aber ich blieb nicht lange in Jerevan. Ich musste los. Ich brauchte Geschichten, Bilder. Mein erstes Ziel war der Alphabet Park. Die Armenier sind stolz auf viele Dinge. Unter anderem ihr Alphabet. Mit 36 Buchstaben ist es sehr besonders im Vergleich zu anderen Sprachen, die andere Ursprünge haben. Es gibt unglaublich viele Denkmäler für das Alphabet und einige davon stehen in mitten kargen Landes. Also, wieso platzierte man so etwas Bedeutendes mitten im Nirgendwo?

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Meilenweit nichts außer trockenes Land und abgemagerte Hunde.

Im Genozid wurden viele Leute auf Todesmärsche geschickt. Hunderte von Kilometern durch die Wüste. Auf diesen Todesmärschen sind viele verhungert. Also haben sie Gedichte, Gebete und ihr Alphabet in Sand, Steinen, was auch immer sie nutzen konnten verewigt, um eine Spur zu hinterlassen. Im Falle die Armenier sterben aus, stirbt zumindestens ihre Sprache nicht aus.
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Das erzählte mir ein Taxifahrer, der mich zum Alphabet Park brachte. Statuen von Heiligen und wichtigen Personen aus der armenischen Geschichte wurden auf einem naheliegenden Hügel aufgebaut wie Schutzengel.

Unter anderem Mesrop Maschtoz, der Entwickler des armenischen Alphabets. Aber der Alphabet Park war kein Denkmal ausschließlich für das Alphabet. Nachdem ich die Geschichten gehört hatte, wurde mir schnell klar:

Der Alphabet Park war ein Denkmal an den Genozid. Mitten auf diesem doch sehr kaltem Fleck Land, mit nur einer einzigen Straße, die daran vorbei führt.

Wenn man „Verlassen“ definieren müsste, wäre dieses Bildnis wohl mehr als passend.

Ich kehrte zurück in die Stadt Jerevan und stieg die etlichen Treppen der „Cascade“ empor. Mir stockte der Atem nicht nur wegen der vielen Treppen, auch bei dem Ausblick blieb mir geradezu die Luft weg.

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Wenn man Glück hatte, konnte man den Schatz Armeniens sehen: den Ararat. Leider, geographisch gesehen, kein Teil Armeniens, sondern der Türkei. Eines der Vermächtnisse, die beim Genozid verloren gingen. So wie die Stadt Ani, die zur Erinnerung auch in die graue Wand in “Tsikernaberd” gemeißelt wurde.

 

Die Stadt Ani, oder das was von ihr übrig geblieben ist, kann von der armenischen Seite, Gerüchten zufolge, gesehen werden. Laut einiger Bewohner sei es möglich von der Grenzstadt Anipemza aus auf einen Hügel auf der türkischen Seite zu sehen, der eine Nachricht trägt, die den Armenier gewidmet sei. Meine Füße wurden unruhig und mein Kopf malte sich alle möglichen Dinge aus. Könnte das sein wonach ich hier gesucht hatte? Eine Spur. Eine Ruine. Eine Botschaft. Der Taxifahrer und mittlerweile guter Freund hatte keine Scheu uns dort hinzufahren. Wir brachen nach Anipemza auf. Als wir Jerevan verließen, sprach ein anderer Berg mit uns. Eine kleine Erinnerung falls wir es vergessen hatten. Haben wir aber nicht.

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Auf der Fahrt hoffte ich, dass Anipemza alles sei was ich mir erhofft hatte. Doch schnell wurde mir bewusst, dass mein Taxi-fahrender Freund absolut keine Ahnung hatte, wo Anipemza genau lag.

 

Großartig. An der nächsten Kreuzung stand ein weißer Lada mit offenem Fenster und wartete darauf links abbiegen zu können. Wir fragten ohne auszusteigen nach dem Weg, bedankten uns und verabschiedeten uns voneinander. Der Mann im Lada verabschiedete sich mit einem armenischen Spruch:

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Zavet Tanem

Lebt wohl und ich nehme euren Schmerz mit.

 

Ein Spruch, der noch keine offizielle Tinte gesehen hatte, aber in den Gedanken der Armenier verwurzelt ist. Mit jedem Kilometer verschlechterte sich die bereits katastrophalische Straße und bevor wir es ahnten, fuhren wir auf nur noch teilweise betonierten „Straßen“ und einer Art Feldweg. Aber das tat nichts mehr zur Sache, denn dort war es: Anipemza.

 
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Nach einer langen Autofahrt bewegten wir uns langsam in die Stadt hinein. Naja, wenn ich sage Stadt, meine ich mehr eine fast schon willkürliche Platzierung von Häusern, die aus alten Blechteilen und zerfallenen Fundamenten von Häusern bestanden. Als wir hinein kamen, winkten uns Kleinkinder zu und trabten uns hinterher. Ich kam mir vor wie ein Hollywood-Star, der ein weiteres Kind adoptieren will. Mitten auf der Straße erhob sich ein riesiges Banner: Links die armenische Flagge, rechts die russische Flagge.

 

Die Grenze zur Türkei ist seit 1996, aus mittlerweile verständlichen Gründen, geschlossen, doch bewacht wurde sie von den Freunden Armeniens, den Russen. Die Grenze bestand aus einem ca. 3 Meter hohen Drahtzaun, der zusätzlich noch unter Strom stand. Alles erinnert an eine Art DDR und schnell wurde mir klar: hier gibt es kein Durchkommen. Vor dem Zaun packte ich meine Kamera mit einer großen, weißen Telelinse aus und untersuchte die andere Seite. Ein großer Canyon teilte die beiden Länder. Nichts. Verdammt. Ich schoss trotzdem ein paar Bilder.

Wir klopften an einem naheliegenden Haus, fragten nach einem besseren Aussichtspunkt und bekamen zu hören, dass es einen gäbe, aber man Papiere bräuchte, um dort hinzukommen.


Aus der Ferne hörte man das Röhren eines verrosteten Auspuffs und Reifen, die über die zerstörten Straßen polterten.


Ehe ich nachsehen konnte, schoss auch schon ein alter Opel um die Ecke. Er hielt mit quietschenden Reifen an. Zwei Männer in grünen Pullovern mit Militär-Camouflage sprangen heraus und gingen gezielt auf mich zu. Sie fragten mich etwas auf russisch. Ich machte ihnen klar, dass ich ihrer Sprache nicht mächtig sei, allerdings konnte man aus ihrer wilden Gestik und dem strengen Ton genau herauslesen, was sie wollten. Sie wechselten von Russisch auf Armenisch und sagen „Keine Fotos“. Er wollte, dass ich alle löschte. Großartig... Ich zerstörte die Bilder vor seinen misstrauischen Augen. Zu groß die Angst, ich könnte die Bilder in irgendeiner Weise gegen sie verwenden. Nachdem beide bemerkt hatten, dass ich doch recht aufgebracht war nach dieser Situation, empfahlen mir die Beiden mehr armenischen Kaffee zu trinken. Nach diesem Vorfall war es mir aber eher nach armenischen Cognac. In geraumen Mengen! Grinsend stiegen die Männer wieder in ihr quietschendes Gefährt und waren genau so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Mist. Da hatte ich einmal eine gute Chance.

Die Rückreise war peinlich berührt.
Ich kam mit Nichts zurück. Ohne Spur. Ohne Botschaft.

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Tage nach dem Trip zu Anipemza rief der Taxifahrer an. Ihm tat es leid, dass er nicht von großer Hilfe sein konnte aber nun hatte er etwas für mich arrangiert. Allerdings erwartete ich nicht viel nach dem gestrigen Tag. Den nächsten Morgen holte er uns zu seinem Arrangement ab.

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Wir trafen eine ältere Frau.

Ich begrüßte sie in armenisch:

„Barev dzez“.

Sie antwortete.

„Guten Tag, wie geht es?“

Moment. Was?

Es stellte sich heraus, dass die gute Frau vor langer Zeit nach Deutschland floh um dort Zuflucht zu finden. Deutsch konnte sie zu dem Zeitpunkt nicht. Nur über Zeichnungen konnte sie erzählen, weswegen sie aus Armenien floh. Sie war jedoch nicht im Genozid. Ihr Vater war es aber. Seine Geschichte, wie viele andere, wurde in einem Buch verewigt damit alle Generationen, die darauf kamen sie nie vergessen würden.

„Nehmen wir mal an, die Türkei würde den Genozid eingestehen und mit Armenien Frieden schließen. Könnten Sie der Türkei verzeihen?“ fragte ich sie.

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Sie schüttelt den Kopf.

„Als wir Kinder waren haben wir als erstes immer den Ararat gezeichnet“ erzählte sie mir. „Wusstet ihr dass der Ararat kein Teil Armeniens ist?“ „Natürlich nicht, wir waren nur kleine Kinder“ antwortete sie mir. „ Selbst jetzt noch zeichnen sie den Ararat.“ „Wirklich?“ fragte ich sie.

Bevor ich es wusste befand ich mich in einem Kindergarten mit Kleinkindern, die mich ängstlich anschauten. Die Lehrerin hat die Klasse aufgefordert zu zeichnen. Irgendwas. Was auch immer sie wollten. Und ich war sprachlos.

Sie haben den Ararat gezeichnet. Es ist komisch, wie ich die ganze Zeit außerhalb Jerewans verzweifelt nach Spuren des Genozids gesucht habe, nur um wieder zurück zu kommen und die Spur in unmittelbarer Nähe zu finden. Weinmanufakturen, Banken etc. tragen den Namen oder das Bild als Zeichen.

 

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Im Rahmen mit dem Bergkarabach / Artsakh Krieg habe ich eine Portraitierte von Armeniern in Deutschland produziert.
Um zu allen 20+ zu gelangen, bitte klick auf einer der Bilder.

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